Zwischen Utopie und Apokalypse
Der 1929 in Berlin geborene Günter Kunert zählt spätestens seit Ende der siebziger Jahre zu den meistbeachteten und vieldiskutierten deutschsprachigen Autoren. Trotz der breiten Resonanz ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem lyrischen Werk Kunerts bislang vernachlässigt worden. Nach einem Forschungsüberblick wird zunächst Kunerts lyrisches Schaffen von 1950 bis 1966 dargestellt. Bis zum Mauerbau 1961 sucht Kunert dem Auftrag nachzukommen, als Schriftsteller aktiv am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken. Er erweist sich in seinem Frühwerk zugleich als Schüler Bechers wie auch Brechts. Kunerts Umdenken erfolgt bei der Forum-Lyrik-Debatte 1966 mit einer radikalen Technikkritik. Da technologischer und gesellschaftlicher Fortschritt im Sozialismus seit je in eins gedacht wurden, fällt auch die dazugehörige Geschichtskonzeption dieser Wende zum Opfer. Kunert entwickelt einen morphologischen Blick, der in der Nachfolge Benjamins und Kracauers vor allem der steinernen Physiognomie der Berliner Häuser die in ihnen sedimentierte Geschichte des 20. Jahrhunderts ablesen soll. Der Verlust einer gesellschaftlichen Utopie entbindet bereits hier das Gedicht von seinem gesellschaftlichen Auftrag. Es wird in Anlehnung an die ästhetische Konzeption Gottfried Benns zur 'Kommunion mit sich selbst'. Mit dem 1980 erschienenen Gedichtband "Abtötungsverfahren" wird ein poetisches Verfahren benannt, das die individuelle Erfahrung des observierten und als Autor abgetöteten Schriftstellers Kunert in der Endphase seines DDR-Daseins in eine Schreibart transformiert. Der historische Prozeß geht in Statik und Vereisung über und zeigt endzeitliche Züge, die Kunert mit den tradierten Mitteln apokalyptischer Metaphorik ins Bild setzt. Die Gedichtbände "Stilleben" (1983) und "Berlin beizeiten" (1987) stehen im Zeichen der Melancholie. Das lyrische Ich erfährt sich hier als exiliertes, dem die Diagnose des universalen und unaufhaltsamen Verfalls keine Kontaktnahme mehr ermöglicht. Einzig der produktive Akt des Schreibens ist die Legitimation und Zufluchtstätte von Utopie.
Autor: | Kasper, Elke |
---|---|
EAN: | 9783484320802 |
Sprache: | Deutsch |
Seitenzahl: | 198 |
Produktart: | Gebunden |
Verlag: | Niemeyer, Tübingen |
Untertitel: | Das lyrische Werk Günter Kunerts von 1950 bis 1987 |
Schlagworte: | Kunert, Günter |
Größe: | 230 |
Gewicht: | 271 g |